Biografie

Er erzählte gern, und er erzählte gut.

Ob er Anekdoten über Schönberg zum Besten gab oder seine Kindheit als Sohn tschechischer Einwanderer in Ohio schilderte; ob er ein Panorama der Berliner Kulturszene in den 60ern entwarf oder die Atomkraftproteste in seiner Wahlheimat Wendland reflektierte – immer wieder wollte man ihm heimlich ein Mikro anheften und seine Geschichte für den nächsten Kaminfeuerabend festhalten.

Dabei war der 1931 geborene Komponist alles andere als ein Märchenonkel.
Beim Sprechen wie beim Komponieren suchte er nie die friedliche Erbauung, sondern immer wieder den dramatischen Konflikt.
„Man hat mich einen narrativen Komponisten genannt und das bin ich wohl mein ganzes Leben lang gewesen. Es ist nicht meine direkte Absicht, aber aus meinem Unterbewusstsein heraus möchte ich, dass meine Musik eine Geschichte erzählt. Musik besitzt für mich den emotionalen Gehalt des Dramas und es geht um erzählerische Qualität, die der Musik eignet und sich auf die Zuhörer übertragen kann.“

Kein Wunder, möchte man meinen, dass der Komponist seine größten Erfolge mit Bühnenmusiken gefeiert hat.
Herodias, 1967 in Braunschweig uraufgeführt, wurde mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. Es folgten in Zusammenarbeit mit dem Choreografen Gerhard Bohner: Die Folterung der Beatrice Cenci (1971) und Lilith (1972) – beide an der Akademie der Künste Berlin, sowie Zwei Giraffen tanzen Tango (1980) in Bremen. Mit Arila Siegert entwarf Humel für die Komischen Oper Berlin die abendfüllenden Ballette Othello und Desdemona (1988, Preis des Carl-Maria-von-Weber-Wettbewerbs) und Circe und Odysseus (1993).

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Über Heinrichs Fieber, eine Kleist-Vision (Kleistfestspiele Frankfurt/Oder 1994) erschloss er sich auch das Opern-Genre.
1960 war Humel mit einem Fulbright-Stipendium nach Berlin gekommen. Bereits zuvor war ihm durch seine Lehrer wie durch seinen persönlichen Geschmack die europäische Musik näher als die amerikanische. Am Oberlin Conservatory (USA) und am Royal College of Music London studierte er bei Eile Siegmeister, Ross Lee Finney und Roberto Gerhard. Seine Bewunderung galt Arnold Schönberg und der Neuen Wiener Schule, mehr noch allerdings Igor Strawinski und Sergej Prokofjew.

In Berlin angekommen, schrieb er sich an der Hochschule für Musik ein, wo er Unterricht bei Boris Blacher und Josef Rufer nahm.
Blacher war zu jener Zeit die unangefochtene Leitfigur der Neuen Musik in Berlin. Außerhalb seines Wirkungsbereiches war die Szene nahezu inexistent. Um ihrer eigenen Musik in diesem lähmenden Klima mehr Aufführungsmöglichkeiten zu verschaffen, begannen Gerald Humel und einige seiner Kommilitonen schließlich, selbst Konzerte zu organisieren. Die „Gruppe Neue Musik Berlin“ war geboren und prägte unter Humels Leitung das musikalische Klima der Stadt jahrzehntelang entscheidend mit.

Im Rahmen der Gruppenkonzerte, aber auch bei der Arbeit an seinen eigenen Kompositionen suchte Humel immer wieder engen Kontakt zu geistesverwandten Interpreten. Von 1986 bis 1999 wirkte Humel als künstlerischer Leiter des „Schreyahner Herbstes“.
1998 legte er den Grundstein für die Musikreihe „Kontraste“ in der Dorfkirche in Satemin, die weiterhin jedes Jahr über die Pfingsttage stattfindet.

Wie in der Gruppe Neue Musik, verwirklichte er auch dort eine Philosophie der stilistischen Vielfalt. Niedersachsens größtes Festival für zeitgenössische Musik wurde unter seiner Ägide zu einem verlässlichen Spiegel aktuellen Komponierens in Deutschland und der Welt.

Seit 1980 Mitglied der Akademie der Künste Berlin, starb Humel am 13. Mai 2005 auf einer Flugreise von Italien zurück nach Berlin. Sein Werk ist zum größten Teil im Selbstverlag erschienen und wird von seiner Lebensgefährtin Haidi Sandmann betreut.

Marcus Gammel
(Text: Booklet der CD: Gerald Humel Visionen – modern art sextet edition zeitklang 2008 )

Auszeichnungen

  • 1957 – BMI Prize New York
  • 1963 – Arthur-Shepard-Preis für Kammermusik
  • 1965 – Preis des National Institute of Arts and Letters
  • 1966 – Guggenheim-Preis
  • 1967 – Deutscher Kritikerpreis
  • 1973 – Kunstpreis Berlin
  • 1978 – Cleveland Arts Preis
  • 1984 – Carl-Maria-von-Weber-Preis der Dresdner Musikfestspiele